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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 31.01.2007
Aktenzeichen: 17 Sa 1599/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 130
Das offene Postfach des Personalrats in der Poststelle der Dienststelle stellt keine Empfangsvorrichtung des Personalrats dar. Der Zugang von Schreiben an den Personalrat wird daher nicht durch das Einlegen in das Postfach bewirkt.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

17 Sa 1599/06

Verkündet am 31.01.2007

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 17. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 31.01.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht D. als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Sch. und Herr Gl.

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Juli 2006 - 96 Ca 3447/06 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten vor allem über die Wirksamkeit einer Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses, die von dem beklagten Land während der Probezeit der Klägerin ausgesprochen wurde.

Das beklagte Land beschäftigte die Klägerin seit dem 5. August 2005 als Lehrerin. Es unterrichtete den zuständigen Lehrerpersonalrat N. mit Schreiben vom 3. Januar 2006 von seiner Absicht, das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung zu beenden und bat um Zustimmung zu dieser Maßnahme. Das Schreiben wurde am 4. Januar 2006 gegen 14.00 Uhr in das Postfach des Personalrats gelegt. Der Vorsitzende des Personalrats, der das Postfach am 4. Januar 2006 gegen 10.00 Uhr geleert hatte, entnahm das Schreiben dem Postfach am 5. Januar 2006. Der Personalrat verweigerte die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 19. Januar 2006, das der Dienststelle an diesem Tag zuging. Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 27. Januar 2006, das der Klägerin am 3. Februar 2006 erhielt, zum 28. Februar 2006.

Das Postfach des Personalrats befindet sich in der Poststelle des Dienstgebäudes B.straße 34; es handelt sich um ein offenes, nicht verschließbares Regalfach. Der Vorsitzende des Personalrats besitzt einen Schlüssel der Poststelle. In der Dienststelle wird zweimal am Tag Post verteilt. Die Sitzungen des Personalrats finden in dem genannten Dienstgebäude statt. Der Personalrat unterhält dort ein Büro, das bis 15.00 Uhr mit einer Verwaltungsmitarbeiterin besetzt ist.

Mit ihrer am 17. Februar 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten Land am 28. Februar 2006 zugestellten Klage hat sich die Klägerin gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewandt und die Verurteilung des beklagten Landes zur vorläufigen Weiterbeschäftigung begehrt. Sie hat die die Kündigung für unwirksam gehalten, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung des Personalrats erfolgt sei. Das beklagte Land ist der Klage entgegengetreten. Die Zustimmung des Personalrats sei nicht fristgerecht verweigert worden; sie gelte daher gemäß § 79 Abs. 2 Satz 4 PersVG Berlin als erteilt. Auch habe der Personalrat die Zustimmungsverweigerung unzureichend begründet. Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch ein am 13. Juli 2006 verkündetes Urteil entsprochen. Die Kündigung sei ohne die erforderliche Zustimmung des Personalrats erfolgt und daher rechtsunwirksam. Es könne dahinstehen, ob der Kündigungsantrag dem Personalrat bereits am 4. Januar 2006 zugegangen sei, weil sich das beklagte Land nach Treu und Glauben nicht auf diesen Zugangszeitpunkt berufen könne. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin sei es in der Dienststelle üblich gewesen, dem Personalrat dringende Angelegenheiten während einer Personalratssitzung zuzuleiten. Dieser Praxis entsprechend hätte das beklagte Land den Kündigungsantrag am 4. Januar 2006 in die an diesem Tag stattfindende Sitzung des Personalrats bringen müssen. Der Personalrat habe seine Zustimmungsverweigerung hinreichend begründet; das beklagte Land hätte nunmehr das Verfahren nach § 80 PersVG Berlin betreiben müssen. Da die Kündigung unwirksam sei, müsse das beklagte Land die Klägerin vorläufig weiterbeschäftigen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihm am 8. August 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. September 2006 eingelegte Berufung des beklagten Landes, die es innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet hat.

Das beklagte Land hält die Kündigung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin für rechtswirksam. Der Kündigungsantrag sei dem Personalrat bereits am 4. Januar 2006 zugegangen; die Äußerungsfrist des Personalrats habe daher am 18. Januar 2006 geendet. Der Antrag sei mit dem Einlegen in das Postfach in den Machtbereich des Personalrats gelangt; auch habe der Personalrat damit rechnen müssen, dass am frühen Nachmittag des 4. Januar 2006 erneut Post in das Postfach eingelegt werden würde. Eine Praxis, dringende Anträge in die Personalratssitzung zu bringen, habe nicht bestanden.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Juli 2006 - 96 Ca 3447/06 - abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens für zutreffend. Ein Zugang des Kündigungsantrags sei am 4. Januar 2006 nicht bewirkt worden; jedenfalls könne sich das beklagte Land auf einen Zugang an diesem Tag nicht berufen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

I.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des beklagten Landes vom 27. Januar 2006 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist gemäß § 108 Abs. 2 BPersVG i.V.m. §§ 87 Nr. 9, 79 Abs. 1 PersVG Berlin unwirksam, weil die erforderliche Zustimmung des Personalrats nicht vorliegt.

1.

Der Personalrat hat nach § 87 Nr. 9 PersVG Berlin bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Angestellten mitzubestimmen. Die Maßnahme bedarf deshalb gemäß § 79 Abs. 1 PersVG Berlin der vorherigen Zustimmung des Personalrats.

2.

Eine Zustimmung des Personalrats zu der streitbefangenen Kündigung liegt nicht vor. Der Personalrat hat seine Zustimmung mit Schreiben vom 19. Januar 2006 verweigert; das beklagte Land hat ein Verfahren nach §§ 80, 81 PersVG Berlin zur Ersetzung dieser Zustimmung nicht betrieben. Die Zustimmung gilt auch nicht gemäß § 79 Abs. 2 Satz 4 PersVG Berlin als gebilligt, weil der Personalrat die Zustimmung innerhalb von zwei Wochen nach der Unterrichtung der Dienststelle von der beabsichtigten Maßnahme ordnungsgemäß verweigert hat.

a) Die zweiwöchige Äußerungsfrist des Personalrats beginnt mit dem Zugang der Unterrichtung und des Antrags auf Zustimmung (Germelmann/Binkert, PersVG Berlin, 2. Auflage 2002, § 79 Rn. 84), wobei auf die Rechtsgrundsätze zurückzugreifen ist, die gemäß § 130 Abs. 1 BGB für den Zugang schriftlicher Willenserklärungen gelten. Danach ist die Willenserklärung zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen (BAG, Urteil vom 16. März 1994 - 5 AZR 447/92 - AP Nr. 68 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Urteil vom 16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - AP Nr. 16 zu § 130 BGB; BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - XII ZR 214/00 - NJW 2004, 1320 f., jeweils m.w.N.). Dies kann in der Weise geschehen, dass die Erklärung in eine vom Adressaten bestimmte Empfangsvorrichtung gelangt. Eine derartige Empfangsvorrichtung kann jedoch nur angenommen werden kann, wenn die Erklärung mit dem Einlegen einem Zugriff des Absenders oder Beförderers entzogen ist (BAG, Urteil vom 16. März 1994 - 5 AZR 44//92 - a.a.O.; BGH, Urteil vom 21. Juni 1989 - VIII ZR 252/88 - AP Nr. 40 zu § 794 ZPO). Nur in einem derartigen Fall ist es gerechtfertigt, dass nunmehr der Empfänger die Gefahr des Verlusts, der Veränderung oder Verzögerung der Willenserklärung trägt; nachdem diese Risiken bis zum Zugang der Erklärung beim Erklärenden liegen. Die Parteien können allerdings hiervon abweichende Vereinbarungen treffen und festlegen, wann und auf welche Weise der Zugang von Erklärungen erfolgt sein soll (vgl. MünchKomm-Einsele, BGB, 5. Auflage 2006, § 130 Rn. 3, 12).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist dem Personalrat das Schreiben des beklagten Landes vom 3. Januar 2006, mit dem er von der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin unterrichtet und um Zustimmung zu dieser Maßnahme gebeten wurde, nicht bereits am 4. Januar 2006 zugegangen.

Die Dienststelle und der Personalrat haben nicht vereinbart, dass der Zugang einer Erklärung bereits mit dem Einlegen in das Postfach des Personalrats bewirkt sein soll. Dass der Personalrat das Postfach nutzte, sagt nichts über den Zeitpunkt des Zugangs der dort eingelegten Schreiben aus. Das Postfach stellt auch keine Empfangsvorrichtung des Personalrats in dem oben genannten Sinne dar. So kann schon nicht angenommen werden, dass der Personalrat das Postfach eingerichtet hat, damit ihm dort Erklärungen zugehen. Das Postfach ist Teil der Poststelle und daher in erster Linie der Dienststelle zuzuordnen. Vor allem aber ist nicht gewährleistet, dass der Personalrat nach dem Einlegen von Schreiben in das Postfach den alleinigen Zugriff zu diesen Erklärungen hat. Da das Postfach nicht verschlossen ist, besitzt vielmehr die Dienststelle weiterhin Zugriff auf die Erklärungen, bis der Personalrat das Fach geleert hat. Die Dienststelle ist daher in der Lage, diese Erklärungen zu verändern oder zurückzunehmen, ohne dass der Personalrat dies verhindern kann. Auch hat der Personalrat keine Handhabe, der - versehentlichen oder absichtlichen - Leerung des Postfachs durch andere Personen entgegenzuwirken. Dass der Vorsitzende des Personalrats einen Schlüssel zur Poststelle hat, gewährleistet lediglich den jederzeitigen Zugriff zu dem Postfach, schließt aber andere Personen von diesem Zugriff nicht aus. Bei dieser Sachlage ist es nicht gerechtfertigt, das Risiko des Verlustes, der Veränderung oder der Verzögerung der Erklärung dem Personalrat zuzuweisen, sobald die Erklärung in das Postfach gelangt. Etwas anderes würde nur gelten, wenn ausschließlich der Personalrat das Postfach leeren könnte. In einem derartigen Fall wäre es Sache des Personalrats, sich Kenntnis von dem Inhalt des Postfachs zu verschaffen. Er müsste - da in der Dienststelle zweimal täglich Post ausgetragen wird - auch mit einem Einwurf von Schreiben am Nachmittag rechnen, was zu einem Zugang der Schreiben am Tag des Einwurfs führen kann. Da jedoch das Postfach am 4. Januar 2006 nicht nur von dem Personalrat geleert werden konnte, ging dem Personalrat das Schreiben des beklagten Landes vom 3. Januar 2006 erst mit der Leerung des Postfachs durch den Vorsitzenden des Personalrats am 5. Januar 2006 zu. c) Die zweiwöchige Äußerungsfrist des Personalrats begann am 6. Januar 2006 und endete mit Ablauf des 19. Januar 2006 (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1, 2 BGB). Die schriftliche Zustimmungsverweigerung des Personalrats ging am 19. Januar 2006 und damit vor dem Ende der Äußerungsfrist bei der Dienststelle ein. Der Personalrat hat die Verweigerung der Zustimmung in ausreichender Weise begründet; die Berufungskammer schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts (Seite 8, 2. Absatz bis Seite 11, 1. Absatz des angefochtenen Urteils), die von dem beklagten Land mit der Berufung auch nicht angegriffen wurden, ausdrücklich an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

II.

Das beklagte Land ist verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen, nachdem die Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung nunmehr zweitinstanzlich festgestellt worden ist und besondere Umstände, die gleichwohl gegen eine tatsächliche Beschäftigung der Klägerin sprechen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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